Filiz, Anlam (2023). “Geschlechterperspektiven in der Forschung über Türken in Deutschland”, 60 Jahre Türkische Präsenz in Deutschland Symposium (31 Ocak-1 Şubat 2022). Istanbul: Türk Alman Üniversitesi Yayınları. 29-43.
GESCHLECTERPERSPEKTIVEN IN DER FORSCHUNG ÜBER TÜRKEN IN
DEUTSCHLAND
Seit den 1980er Jahren haben Migrationsforscher:innen zunehmend Geschlechterperspektiven
in ihre Untersuchungen integriert. Viele heutige Forscher:innen konzeptualisieren Migration
als einen Prozess, der durch geschlechtsspezifischen Faktoren gestaltet wird, und die
Erfahrungen von Minderheiten als von Geschlechterverhältnissen geprägt. In diesem Rahmen
werden nicht nur die Familiengeschichten von Migrant:innen, sondern auch alle Aspekte der
Migration als vergeschlechtlichte Phänomene verstanden. Dieser Fokus ermöglicht,
beispielsweise bisher übersehenden affektiven Aspekte menschlicher Mobilität untersucht zu
werden und monolithische Bilder von „dem Migranten“ dekonstruiert zu werden. Im Rahmen
dieser Entwicklungen in der internationalen Migrationsforschung haben
Wissenschaftler:innen Geschlechterperspektiven auch in die Literatur über Türken in
Deutschland integriert.
Wenn auch solche Studien die Darstellungen verschiedener Bevölkerungsgruppe
diversifizieren, laufen sie auch Gefahr, ihre Erfahrungen zu essentialisieren. Das ist
beispielsweise der Fall für Türken in Deutschland, weil die Unterschiede zwischen den
türkischen und deutschen Kulturen oft auf vergeschlechtlichte Art und Weise verstanden
werden und türkischen Frauen in akademischen und populären Diskursen historisch oft als
Opfer der türkischen Kultur dargestellt wurden. Dieser Beitrag argumentiert, dass um eine
Geschlechterperspektive in den Mittelpunkt von Untersuchungen über Türken in Deutschland
zu gestellen währenddessen die Fallstricke der Essentialisierung und der Orientalisierung
auch vermeiden werden, sollten die jüngsten Erkenntnisse der Kulturanthropologie zu eigen
gemacht werden. Dazu sollte Kultur nicht als eine stabile, fertige und gleichmäßige Einheit,
sondern als eine dynamische Reihe von miteinander verflochtenen lokalen, nationalen,
transnationalen und globalen Prozessen verstanden werden. Das bedeutet, Kultur als einen
Bereich zu analysieren, in dem verschiedene Menschen, Gruppen und Institutionen versuchen,
die weit akzeptierten Merkmale von Form, Bedeutung und Beziehungen zu bestimmen.